Der amerikanische Schriftsteller und Professor für englische Literatur Percival Everett hat in seinem 2024 erschienenen Roman „James“ einen der Klassiker der amerikanischen Literatur „Huckleberry Finn“ von Mark Twain neu geschrieben – doch diesmal aus der Sicht des entflohenen Sklaven Jim. Damit ist die Messlatte hoch und es stellt sich die Frage: kann das gelingen? Ja und Nein.
Ja, denn der neue Roman von Percival Everett orientiert sich sehr stark an der Geschichte des entflohenen Sklaven Jim – der Inhalt ist damit dann auch den meisten Lesern und Leserinnen klar.
Für die wenigen , die Huckleberry Finn noch nicht gelesen haben, hier ein kurzer Abriss: Aus der Not heraus fliehen Huckleberry Finn und der befreundete Sklave Jim zufällig zur gleichen Zeit aus prekären Verhältnissen, treffen sich auf der Flucht wieder, erleben groteske Abenteuer, werden immer wieder getrennt, finden immer wieder zusammen und kehren am Ende zurück in ihre Heimat.
Und aus dem Klappentext:
„Jim spielt den Dummen. Es wäre zu gefährlich, wenn die Weißen wüssten, wie intelligent und gebildet er ist. Als man ihn nach New Orleans verkaufen will, flieht er mit Huck gen Norden in die Freiheit. Auf dem Mississippi jagt ein Abenteuer das nächste: Stürme, Überschwemmungen, Begegnungen mit Betrügern und Blackface-Sängern. Immer wieder muss Jim mit seiner schwarzen Identität jonglieren, um sich und seinen jugendlichen Freund zu retten.“
Zeit, Ort und Personen aus Huckleberry Finn erkennt der Leser leicht wieder – auch dann wenn seine eventuelle Jugendlektüre des „Huckleberry Finn“ schon Jahrzehnte zurückliegt oder vielleicht sogar nur eine Verfilmung bekannt ist. Lediglich das Ende weicht von der „Vorlage“ ab. Ebenso wie Twains Roman, liest sich „James“ flüssig, die Gesellschaftskritik ist eingängig und sorgt für eindeutige Sympathie und Everetts Roman fesselt in jedem Fall von der ersten bis zur letzten Seite.
Aber es gibt auch ein „Nein“ auf die obige Frage, denn der Sklave ist in meinen Augen nicht immer authentisch und die Leiden der Sklaverei – wenn auch eindringlich beschrieben – gehen mir manchmal zur sehr in den verschiedenen Abenteuern unter. Bei all dem Leid, dass der Sklave Jim selbst erfährt, muss man sich über seinen Gleichmut und seine Aufrechterhaltung der Fassade der Dummheit wundern, das wirkt nicht immer authentisch in der Geschichte selbst. Aber – ohne zu viel zu verraten – wird dem Leser ebenso wie Jim gegen Ende des Romans der Geduldsfaden einmal reißen und die Peiniger bekommen es selbst mit der Angst zu tun.
Die deutsche Übersetzung ist im März 2024 im Carl Hanser Verlag erschienen und trotz einiger kritischer Worte, sei der Roman jedem wärmstens empfohlen. Mit seinen 330 Seiten ist er auch überschaubar und sorgt an einem Wochenende für Lesegenuss und Unterhaltung, die ausreichend Raum für kritische Betrachtung der Sklaverei läßt.
