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Valerie Fritsch, Zitronen

Valerie Frisch, österreichische Schriftstellerin und Photografin, Jahrgang 1989, ist mit ihrem im Februar 2024 erschienen Roman „Zitronen“ zu Recht für den österreichischen Buchpreis nominiert worden.
Auf etwa 180 Seiten erzählt sie sprach- und bildgewaltig das Schicksal des jungen August Drach, der zuerst von seinem Vater geschlagen wird und als dieser plötzlich verschwindet, offenbart sich die wahre Natur seiner Mutter. Sie mischt ihm Medikamente unters Essen, um ihn krank zu machen und anschließend durch seine Pflege Aufmerksamkeit und Bewunderung zu erhalten – ein Verhalten bekannt als Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom. Hier liegen Gewalt und Zärtlichkeit stets so dicht beieinander, das die Lektüre manchmal nur schwer auszuhalten ist – aber es lohnt sich dran zu bleiben.
Umrahmt wird das triste Leben des August Drach von zahlreichen morbiden Auflistungen: da sind die Einzelschicksale im Dorf und das Verschwinden zahlreicher Menschen, inklusive kleiner Kinder, in der Pflege gequälte Senioren, brutal zugerichtete Leichen im Leichenschauhaus, Mörder und ihre Verbrechen in der Nachbarschaft und vieles mehr. Inhaltlich ist der Roman nur schwer zu verdauen, sprachlich jedoch ein grandioses, selten vorkommendes literarisches Großereignis.

Ein paar willkürliche Zitate aus den ersten zwanzig Seiten:

„August Drach schoss stets als Letzter, schnell und ohne mit der Wimper zu zucken, als wüsste er schon, dass einem das Leben das Abwarten verzieh, aber nie das Zögern.“

„Sie lebte ein anstrengendes Leben unter dem löchrigen Deckmantel eines unangestrengten Tagesablauf.“

„Sie liebte alles, was schön war, und fand manches schön, was anderen bloß wirr vorkam, weil es über das Paradies keine Einigkeit gab.“

„Der Vater rührte keinen Finger, aber erhob oft die Hand.“

„[…] er sagte nichts, nicht guten Morgen und nicht guten Abend, nicht bitte und nicht danke, das Haus vibrierte unter seiner Stummheit, das Schweigen wurde zum Faden, an dem hängend er sich in sich selbst verirrte und an dem er später zurückgehen musste, um aus dem Labyrinth seines Inneren herauszufinden.“

Sie spielt mit Gegensätzen, zeichnet ohne viele Adjektive überdeutliche Bilder, formuliert aphoristisch und man möchte sich hunderte ihrer Sätze merken, um diese bei nächster Gelegenheit zu zitieren.

Ein Mensch, der nie das Urvertrauen seiner Eltern kennengelernt hat, kann kein gelungenes Leben, keine gesunde Beziehung führen und so wird August Drach im zweiten Teil des Romans erwartungsgemäß in seiner ersten und einzigen Liebesbeziehung scheitern und der Roman auf ein krachendes Ende zusteuern. Mehr sei hier nicht verraten, nur die Mahnung: unbedingt lesen! Wer Valerie Fritsch nicht liest, übersieht eine wichtige deutschsprachige Gegenwartsautorin.

Matthias Jügler, Maifliegenzeit

„Aber nur, weil sich etwas dem Blick so konsequent entzieht, heißt das nicht, dass es nicht existiert.“

Mit diesem Satz könnte man den 2024 im Penguin Book Verlag erschienen Roman des 1984 in Halle an der Saale geborenen Matthias Jügler durchaus zusammenfassen und damit wäre das immer wiederkehrende Hauptmotiv der Wahrheitssuche auch bestens beschrieben. Aber zuerst etwas ganz anderes vorweg: wer diesen Roman lesen und genießen möchte, dem sei er auf jeden Fall ans Herz gelegt, aber dringend nur unter folgender Bedingung zu konsumieren: keine Recherche vorab zu diesem Buch im Netz und alle Klappentexte und Beipackzettel unbedingt ignorieren. Einfach nur den Roman als Roman genießen.

Die jungen Eltern Hans und Katrin freuen sich auf ihr erstes Kind, erleben jedoch nach der Geburt den Albtraum, dass ihr Kind für tot erklärt wird, ohne dass sie es nochmals zu sehen bekommen. Katrin hat von Anfang an ein ungutes Gefühl und glaubt, dass ihr Sohn lebt, Hans kann nichts tun und möchte das Katrin das Unglück akzeptiert. Darüber zerbricht ihre Beziehung und in beider Leben bleiben Zweifel und Misstrauen, immer wieder Suchen und Hoffen und steht der Wunsch endlich die Wahrheit zu erfahren. Dies ist – ohne weiteres verraten zu wollen – eine Ebene des Roman, die vom traumatischen Verlust, von folgenschweren Zweifeln, einem Neubeginn und einer hoffnungsvoller Suche erzählt.

Daneben gibt es noch die Ebene der Bilder aus der Angelwelt. Hans ist Angler, letztlich angetrieben durch das Hobby seiner verstorbenen Vaters, der immer wundersame Geschichten von Fischen erzählt, die Hans, seine Geschwister und seine Mutter ihrem Vater niemals geglaubt haben, weil der Vater selten etwas vom Angeln mit nach Hause brachte und seine sonderbaren Fische niemals zu sehen waren. Dies – und der Blick auf die verborgene Wahrheit ändert sich – als Hans selber zu angeln beginnt und sich eine wundersame Geschichte seines Vaters nach der anderen als Wahr herausstellt.

Ein kurzweiliger, wunderbar erzählter Roman, der zudem spannend ist, so dass er mit seinen etwa 150 Seiten auch schnell durchgelesen ist.

Der Autor wurde und wird für diesen Roman und seine Geschichte heftig kritisiert, hieran will ich mich aber nicht beteiligen, denn die Frage ob die Fiktion eine reale Basis hat, ist nicht zwingend relevant für den Lesegenuss.

Caroline Wahl, 22 Bahnen

Ins Wasser springen und von einem leichten Sog oder einer langsamen Strömung weggerissen werden, ohne dass die Angst überhand nimmt, das rettende Ufer zu verlieren – das ist der Lesegenuss von Caroline Wahls „22 Bahnen“.

Zum Inhalt lassen wir die ersten Zeilen des Klappentextes sprechen: „Tildas Tage sind strikt durchgetaktet: studieren, an der Supermarktkasse sitzen, schwimmen, sich um ihre kleine Schwester Ida kümmern – und an schlechten auch um ihre Mutter. Zu dritt wohnen sie im traurigsten Haus in der Fröhlichstraße, in einer Kleinstadt, die Tilda hasst. Ihre Freunde sind längst weg, leben in Amsterdam oder Berlin, nur Tilda ist geblieben. Denn irgendjemand muss für Ida da sein, Geld verdienen, die Verantwortung tragen. Nennenswerte Väter gibt es keine, die Mutter ist alkoholabhängig. Eines Tages aber geraten die Dinge in Bewegung […]“.

Das klingt düster und ist es in der Realität auch, doch fokussiert sich der Roman auf eine starke, helfende Bindung zwischen zwei Schwestern und der Leser kann, nicht zuletzt wegen eines offenen Endes, optimistisch in die Zukunft der Protagonisten schauen.

Der Roman ist aus der Ich-Perspektive von Tilda erzählt und die Autorin Caroline Wahl rauscht im Präsens in szenischer Erzählweise, unterbrochen durch Rückblenden im Präteritum, die ihrerseits wiederum im Präsens unterbrochen werden, durch die Geschichte von Tilda, ihrer Familie und ihren Freunden. Der Roman gleicht einem temporeichen Kinofilm, der auf ein Ende zu steuern droht, welches wir nicht sehen wollen. Wie schon oben mit dem offenen Ende „gespoilert“, wird glücklicherweise die Drohung nicht immer wahr. Stets blitzt das Geheimnis eines Unfalls vor einigen Jahren auf, von dem wir erst am Schluss einige Details, aber bei weitem nicht alles erfahren. Mit diesen Tempo und dem Geheimnis entwickelt der Roman eine Sogwirkung, die den Leser das Buch nur ungerne zur Seite legen lässt.

Glücklicherweise bietet uns die Autorin in einigen Motiven immer wieder eine Rast an. So wiederholt sich die Szene, wenn Tilda an der Supermarktkasse, die Artikel mit den Augen scannt und versucht Summe des Einkaufs und Charakter des Käufers einzuschätzen oder das Schwimmritual, das Tilda immer wieder die titelgebenden 22 Bahnen schwimmen läßt – eigentlich sind es eher 20 +/-5, aber dazu gibt die Lektüre Aufschluss oder die Bedeutung eines geregelten allabendlichen gedeckten Abendbrottisches.

Caroline Wahls Debütroman ist in meinen Augen zu recht hochgelobt, denn seine beschriebene Sogwirkung ist außergewöhnlich. Nicht einmalig, aber vielleicht für das Literaturjahr 2023 herausragend. Der große Erfolg setzt die junge Autorin gewiss unter Druck und es bleibt abzuwarten, ob sie diesem Stand halten kann und uns weitere hervorragende Romane bieten kann. Der Nachfolgeroman „Windstärke 17“, der das obige Rezept wiederholt und aus der Ich-Perspektive von Ida erzählt, hat mich nicht überzeugt. Ich kam über die ersten Seiten nicht hinaus.

Daniel Kehlmann, Über Leo Perutz

Zu teuer, zu kurz, zu überhöht, nicht zeitgemäß – und doch zu empfehlen.

In der Reihe „Bücher meines Lebens“ aus dem Verlag Kiepenheuer und Witsch, herausgegeben von Volker Weidermann, ist im September 2024 der kleine Titel „Über Leo Perutz“ von Daniel Kehlmann erschienen.

Nehmen wir mal das Vorwort, den Anhang und die Werbung außen vor, dann bezahlen wir Leser für neunzig Seiten ganze zwanzig Euro – das finde ich zu teuer, zu kurz.

Den neunzig Seiten angemessen versuche ich mich kurz zu fassen:

Der Klappentext läßt uns wissen, dass hier „Kehlmann über den unbekanntesten Grossmeister der deutschen Literatur: Leo Perutz“ schreibe. Wer sich mit Titeln auskennt weiß, etwas höheres kann es nicht geben und das erscheint mir zu überhöht, da Kehlmann es zum einen nicht begründen kann und ich mich frage, welchen Titel dann ein Thomas Mann, ein Goethe oder ein Kafka bekommen soll?

„Leo Perutz‘ Werk ist zur Gänze lieferbar, die Literaturwissenschaft beschäftigt sich mit ihm, es hat Ausstellungen über ihn gegeben, es liegt eine profund recherchierte Biografie vor. Und dennoch ist Perutz, gemessen an seinem Rang, kaum bekannt“ schreibt Kehlmann zusammenfassend in seiner Einleitung und liefert damit ein vollkommen falsches Bild: nur eine kleine Teilmenge seiner Romane ist lieferbar, wichtige Novellensammlungen wie „Herr, erbarme Dich meiner“ nur antiquarisch erhältlich, die Theaterstücke gar nicht lieferbar und kaum ein Buchhändler (vermutlich kann ich mich trauen zu sagen: kein einziger) hat Titel von Leo Perutz vorrätig in seinem Sortiment – vielleicht gibt es bundesweit ein paar Ausnahmen die Perutz bekanntesten Roman „Nachts unter der steinernen Brücke“ präsentieren können.
Was Kehlmann hier auflistet sind Ausnahmeerscheinungen und keine Wiedergaben aus dem täglichen Feuilleton – in Wahrheit ist Leo Perutz einer der vielen vergessenen deutschsprachigen Autoren, die im Prag und Wien zu Beginn des 20. Jahrhunderts in der Welt der Caféhäusern ihren ersten Ruhm genossen, heute aber nur im Antiquariat zu finden sind.
Hier würde ich Herrn Kehlmann auch gerne persönlich darauf aufmerksam machen wollen, dass nur weil ein Internetriese einen Titel noch auf Lager hat, heisst dies nicht, dass es auch tatsächlich noch im stationären Buchhandel erhältlich oder lieferbar ist.

Und dennoch ist dieses kleine Büchlein empfehlenswert, denn Daniel Kehlmann schreibt mit einer großen Liebe und Begeisterung über das Werk von Leo Perutz und kämpft so gegen das Vergessen dieser lesenswerten Autors. Kehlmann offenbart sich als glühender Verehrer von Leo Perutz und wandert in kleinen Kapiteln durch dessen Werk. Hierbei legt Kehlmann den Fokus auf den Inhalt der Geschichten und ihrem Plot – das, so stellt Kehlmann immer wieder klar, ist das bedeutendste an Perutz Werk.

Dem schließe ich mich an und ich kann Perutz „Nachts unter der steinernen Brücke“ nur jedem ans Herz legen. Eine großartige Novellensammlung, die sich am Ende zu einem einzigartigen Roman zusammenfügt, jede Novelle mit einem grandiosen, meist sehr überraschenden Plot.

Aber… nicht zeitgemäß ist die Sprache Perutz´. Eine schöne, elegante, langsame und warme Sprache, aber der heutige Leser – ob zwanzig oder vierzig Jahre alt – kann damit schon Probleme bekommen und muss sich zum Plot erst durchkämpfen:

„Im Herbst des Jahres 1589, als in der Prager Judenstadt das große Kindersterben wütete, gingen zwei armselige Spaßmacher, ergraute Männer, die davon ihr Leben fristeten, daß sie bei den Hochzeiten die Gäste belustigten, durch die Belelesgasse, die vom Nicolasplatz zum Judenfriedhof führte.“

So beginnt die erste Novelle „Die Pest in der Judenstadt“ in „Nachts unter der steinernen Brücke“ und mit diesen 250 Zeichen allein schon im ersten Satz sind zahlreiche Leser heute überfordert. Ich wünsche Perutz viele Leser und vielleicht kann Kehlmann ja mit seiner Hommage an Leo Perutz die Neugier und den Lesehunger wecken – ich wünsche es beiden.

Inga Machel, Auf den Gleisen

Im Rowohlt Verlag ist der 150 Seiten kurze Debütroman von Inga Machel, der von Kritik hochgelobt wurde und es auf Anhieb auf die SWR2 Bestenliste geschafft hat, im Januar 2024 erschienen und ich war nach einer Besprechung im Zeit Literatur Podcast neugierig geworden.

Der Inhalt in Kürze

„Ich dachte, ich müsste jemanden umbringen. Als würde der Tod meines Vaters unausweichlich einen Gegentod erfordern.“

So beginnt der Roman und damit die Geschichte von Mario, der seinen depressiven Vater durch Selbstmord verloren hat und aus der Ich-Perspektive von seinem Alltag in Berlin erzählt, wie er seinen Schmerz durch Alkohol und andere Drogen betäuben will und in seinen Erinnerungen an seinen Vater schwelgt. Mario zieht durch Berlin und findet seine Hauptbeschäftigung im obsessiven Beobachten des drogenabhängigen P. und seines monotonen, antriebslosen Vagabundieren von einem Schuss zum nächsten.

Kritik

Man könnte meinen, der Roman habe Schwächen und Längen, denn er beschreibt immer wieder das Gleiche: Mario beobachtet P., er betrinkt sich, das Drogenmileu wird beschrieben, es gibt Rückblenden in Marios Kindheit und wieder beobachtet er P. Aber genau dadurch wird die Monotonie und das Scheitern von Mario bestens beschrieben. Die Sätze gehen durchaus unter die Haut und oftmals ist das Lesen auch nur schwer erträglich, da man das Gefühl hat alle Beteiligten einmal kräftig durchschütteln müsste, damit sie sich zusammenreißen oder aus ihrem Trott endlich ausreißen.

Der Roman wir zu Recht hochgelobt, er hat eine wirkmächtige Sprache und fesselt und ich kann ihn nur guten Gewissens weiterempfehlen. Dirk von Lowtzow hat es treffend beschrieben: „Eine Topographie des Traumas und der Trauer. Ein tiefes, ein bewegendes Buch.“ Aber man darf von diesem Buch keine Antworten erwarten, diese gibt es nicht. Wie man Depressionen entflieht, eine Sucht überwindet, Selbstmordgedanken aufgibt, wieder ins Leben zurückfindet… all dies erfahren wir hier nicht. Manches davon geschieht, aber wir erfahren nicht warum oder wie.

Wer darf Hemingway übersetzen?

Eine der am weitesten verbreiteten deutsche Ausgaben von Ernest Hemingway ist sicherlich Ernest Hemingway, Gesammelte Werke in 10 Bänden aus dem Rowohlt Taschenbuchverlag. Diese erschien 1977 und die meisten Werke hierin in der „einzig autorisierten Übertragung aus dem Amerikanischen von Annemarie Horschitz-Horst“.

Annemarie Horschitz-Horst (1899 – 1970) war die einzige von Ernest Hemingway autorisierte deutsche Übersetzerin. Schon zu Lebzeiten Hemingways wurde bei ihm angefragt, ob andere Übersetzer seine Werke übersetzen dürften, doch lehnte dies Hemingway bis zu seinem Tod im Jahr 1961 kategorisch ab. Hierfür gab es aus Sicht des Schriftstellers ja auch gar keinen Grund, denn der Verkauf seiner Bücher im deutschsprachigen Raum lief sehr gut.

Doch die Übersetzungen waren in der Literatur- und Kritikerwelt nicht unumstritten, so

„Hemingway hat auf eine Generation deutscher Schriftsteller einen stilbildenden Einfluss ausgeübt. Wer hat ihn in Wirklichkeit ausgeübt – Hemingway oder seine deutsche Übersetzerin Annemarie Horschitz-Horst?“

Mit diesen Worten thematisierte schon Marcel Reich-Ranicki die Problematik der Hemingway-Übersetzung im Jahr 1965 auf einem Übersetzer-Kongreß. Aber was genau machte man ihr eigentlich zum Vorwurf? Da ist zum einen die Ungenauigkeit: egal ob Hemingway wonderful, fine, loveley, oder beautiful schreibt, bei Horschitz-Horst wird immer ein wunderbar daraus. Zum anderen der fehlende Mut bei Kraftausdrücken: der son of a bitch ist bei Horschitz-Horst kein Hurensohn, sondern ein verdammter Kerl. Und schließlich auch die fehlende Kenntnis und Interpretation des Autors Hemingway selbst, denn Hemingways man übersetzt Horschitz-Horst zu oft als Mensch, obwohl der Macho Hemingway meist nur von Männern schreibt.

Wer Missverständnisse vermeiden will, der greift zum Original oder liest eine der neueren Übersetzungen von Werner Schmitz, der für seine Arbeit auch vom Feuilleton oft gelobt wurde, z.B. in der Neuen Zürcher Zeitung und für seine Übersetzungen der Werke amerikanischer Autoren 2011 mit dem Heinrich Maria Ledig-Rowohlt-Preis geehrt wurde. 

Seit nun vierzig Jahren übersetzt der in der Lüneburger Heide lebende Werner Schmitz die Werke Hemingways neu, zuletzt erschien seine Übersetzung von „Whom the bell tolls“ im Rowohlt-Verlag 2022 unter „Wem die Stunde schlägt„. Schmitz erste Hemingway-Übersetzung war 1986 „Gefährlicher Sommer“, nachdem sich 1984 der Rowohlt-Verlag mit den Erben Hemingways darauf verständigt hatte, dass das Werk sukzessive neu übersetzt wird.

Hemingway, Der alte Mann und das Meer

Der Inhalt

„Jeder Tag ist ein neuer Tag. Glück haben ist nicht schlecht. Aber ich möchte lieber gründlich sein. Wenn dann das Glück kommt, ist man vorbereitet.“

So denkt der kubanische Fischer Santiago – der alte Mann – als er nach einer lang anhaltenden Pechsträhne ohne Fang im frühen Morgen alleine ins offene Meer hinausfährt und in der Folge tatsächlich Glück haben wird. Er macht endlich wieder einen großen Fang und es werden zwei Tage Kampf mit dem Fisch folgen, aus denen der alte Mann zunächst als Sieger hervorgeht, jedoch am Ende wird der alte Mann seinen Fang und sein Glück an die Haie verlieren.

„Aber der Mensch ist nicht dafür gemacht, sich besiegen zu lassen. […] Man kann einen Mann vernichten, aber nicht besiegen.“

Dies ist die optimistisch-trotzige Botschaft des alten Mannes und des Autors Ernest Hemingway, sich den Widrigkeiten des Lebens und des Schicksals zu stellen.

Hintergrund

Einen Klassiker wie Ernest Hemingway kann ich immer wieder mit Genuss lesen, hierfür braucht es keinen dedizierten Anlass, aber manchmal findet sich dieser zum Beispiel in der Lektüre eines anderen Buches, wie zum Beispiel die von Uwe Timms „Alle meine Geister“. Trotz der Freude an diesem Roman findet sich auch einige Kritik, die sich aber in meiner generellen Kritik an Hemingway orientiert. Das vielleicht manchmal etwas eingeschränkte Weltbild von Hemingway wird auch in diesem Roman wieder zelebriert: der Mythos des ewigen Kampf des Menschen, insbesondere des Mannes, mit der Natur, der einsame Zweikampf eines Helden, der einen letzten großen Kampf austrägt und zumindest moralisch als Sieger hervorgeht.
Und dennoch: die Schilderung ist spannend und emphatisch. Es gibt kritische Leser, die in Hemingways Naturschilderungen zu viel heldenhaften Pathos sehen, ich aber mag seinen Respekt und seine Achtung vor der Natur – auch wenn sie sich in der Achtung vor dem gejagten Tier widerspiegelt und auch wenn sie oft „männlich überhöht“ erscheint.

Hemingway hatte den Stoff für diese Fischergeschichte bereits 1936 als kurzen Artikel im Esquire veröffentlicht, aber erst nach 1939, seit dem er sich auf Kuba niedergelassen hatte, nahm er sich des Stoffes wieder an und veröffentlichte den kurzen Roman 1952.

Ernest Hemingway wurde 1953 für diesen Kurzroman (etwa 150 Seiten) mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet und das Werk wurde in der Begründung des Nobelpreiskomitees im Jahr 1954 explizit erwähnt. Diese beiden Ehrungen kamen für Hemingway zur rechten Zeit, denn sein letzter Roman „Across the river and into the Trees“ („Über den Fluss und in die Wälder“) veröffentlich in 1950 wurde sowohl von der Literaturkritik als auch vom Lesepublikum nur sehr schlecht aufgenommen.
„Der alte Mann und das Meer“ ist das letzte vollendete Werk von Hemingway, welches zu seinen Lebzeiten veröffentlich wurde. Gleichzeitig ist es vermutlich der bekannteste Titel von Hemingway überhaupt, nicht zuletzt auch aufgrund der kongenialen Verfilmung aus dem Jahr 1958 von John Sturges mit Spencer Tracey. Der Film wurde – ebenso wie das Buch – mit zahlreichen Auszeichnungen wie dem Oscar und dem Golden Globe geehrt.

Die aktuellste Übersetzung durch Werner Schmitz von „The Old Man and the Sea“ erschien 2012 im Rowohlt Verlag.

Percival Everett, „James“

Der amerikanische Schriftsteller und Professor für englische Literatur Percival Everett hat in seinem 2024 erschienenen Roman „James“ einen der Klassiker der amerikanischen Literatur „Huckleberry Finn“ von Mark Twain neu geschrieben – doch diesmal aus der Sicht des entflohenen Sklaven Jim. Damit ist die Messlatte hoch und es stellt sich die Frage: kann das gelingen? Ja und Nein.

Ja, denn der neue Roman von Percival Everett orientiert sich sehr stark an der Geschichte des entflohenen Sklaven Jim – der Inhalt ist damit dann auch den meisten Lesern und Leserinnen klar.

Für die wenigen , die Huckleberry Finn noch nicht gelesen haben, hier ein kurzer Abriss: Aus der Not heraus fliehen Huckleberry Finn und der befreundete Sklave Jim zufällig zur gleichen Zeit aus prekären Verhältnissen, treffen sich auf der Flucht wieder, erleben groteske Abenteuer, werden immer wieder getrennt, finden immer wieder zusammen und kehren am Ende zurück in ihre Heimat.

Und aus dem Klappentext:

„Jim spielt den Dummen. Es wäre zu gefährlich, wenn die Weißen wüssten, wie intelligent und gebildet er ist. Als man ihn nach New Orleans verkaufen will, flieht er mit Huck gen Norden in die Freiheit. Auf dem Mississippi jagt ein Abenteuer das nächste: Stürme, Überschwemmungen, Begegnungen mit Betrügern und Blackface-Sängern. Immer wieder muss Jim mit seiner schwarzen Identität jonglieren, um sich und seinen jugendlichen Freund zu retten.“

Zeit, Ort und Personen aus Huckleberry Finn erkennt der Leser leicht wieder – auch dann wenn seine eventuelle Jugendlektüre des „Huckleberry Finn“ schon Jahrzehnte zurückliegt oder vielleicht sogar nur eine Verfilmung bekannt ist. Lediglich das Ende weicht von der „Vorlage“ ab. Ebenso wie Twains Roman, liest sich „James“ flüssig, die Gesellschaftskritik ist eingängig und sorgt für eindeutige Sympathie und Everetts Roman fesselt in jedem Fall von der ersten bis zur letzten Seite.

Aber es gibt auch ein „Nein“ auf die obige Frage, denn der Sklave ist in meinen Augen nicht immer authentisch und die Leiden der Sklaverei – wenn auch eindringlich beschrieben – gehen mir manchmal zur sehr in den verschiedenen Abenteuern unter. Bei all dem Leid, dass der Sklave Jim selbst erfährt, muss man sich über seinen Gleichmut und seine Aufrechterhaltung der Fassade der Dummheit wundern, das wirkt nicht immer authentisch in der Geschichte selbst. Aber – ohne zu viel zu verraten – wird dem Leser ebenso wie Jim gegen Ende des Romans der Geduldsfaden einmal reißen und die Peiniger bekommen es selbst mit der Angst zu tun.

Die deutsche Übersetzung ist im März 2024 im Carl Hanser Verlag erschienen und trotz einiger kritischer Worte, sei der Roman jedem wärmstens empfohlen. Mit seinen 330 Seiten ist er auch überschaubar und sorgt an einem Wochenende für Lesegenuss und Unterhaltung, die ausreichend Raum für kritische Betrachtung der Sklaverei läßt.

Ray Bradbury, „Fahrenheit 451“

Nach vielen Jahren habe ich einen der dystopischen Klassiker und vermutlich das bekannteste Werk von Ray Bradbury (1920 – 2012) erneut gelesen und finde es aktueller denn je.
„Fahrenheit 451“ ist 1953 erschienen und stellte schon vor über 70 Jahren die Verlorenheit des Individuums in der technisch perfektionierten Welt dar. Diese technisch perfekte Welt ist aber auch eine Welt, in der die Menschen permanent über Werbung und belanglose Unterhaltung die allgegenwärtig von riesigen Leinwänden, den Lautsprechern im öffentlichen Leben und den ständig getragenen „Ohrmuscheln“ berieselt werden – Netflix, Instagramm und das Handy mit „In Ear Kopfhörern“ lassen grüßen.
Hier wird jeder Raum für das eigene Denken, das Wundern und Staunen, das Hinterfragen und Zweifeln genommen und konsequenterweise sind damit auch alle Bücher verboten, da diese nur zum Denken verführen könnten.
Die Feuerwehr hat in dieser Welt nicht mehr die Aufgabe, Brände zu löschen sondern Bücher, deren Besitzer und Orte zu verbrennen. Einer der Feuerwehrleute „Guy Montag“, der Protagonist des Romans, hinterfragt seine Aufgabe der Bücherverbrennung und widersetzt sich schließlich dem System.

Bradbury schrieb ein Plädoyer für die Freiheit des Denkens in einem Roman, der auch heute noch gut zu lesen ist, da er leicht verständlich und auch spannend ist.

Gerade in der Figur der Mildred, der Frau von Guy Montag, kann sich jeder Leser leicht wiederfinden. Sie verbringt ihr Leben abgeschottet in ihren vier Wänden, wird ständig von den Ohrmuscheln berieselt, fühlt sich am wohlsten in ihrem Wohnzimmer, wo sie an drei wandgroßen Bildschirmen in seichte Unterhaltung abtaucht und obwohl sie auf all dies nicht verzichten will, versucht sie ständig sich das Leben zu nehmen.

Die Ausgabe im Diogenes-Verlag folgt der Jubiläumsausgabe aus dem Jahr 2003 und ist seit Ende Februar 2024 auch als Taschenbuchausgabe erhältlich.

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