Kategorie: Sachbuch

Kerstin Holzer, Thomas Mann macht Ferien

Pünktlich zum Thomas Mann Jubiläumsjahr erscheint ein weiteres Buch zu Thomas Mann, mit Thomas Mann, über Thomas Mann und es ist schwer in eine Kategorie zu fassen. Ist es eine Erzählung, ein Sachbuch oder eine Monografie? Aber fangen wir doch von vorne an.

Die gebürtige Bonnnerin Kerstin Holzer, Jahrgang 1967, ist durchaus eine Kennerin der Familie Mann, hat sie doch schon zwei bemerkenswerte Bücher über Monika Mann und Elisabeth Mann-Borgese geschrieben. In „Thomas Mann macht Ferien. Ein Sommer am See„, erschienen im April 2025 bei Kiepenheuer & Witsch, beschreibt sie die Sommerfrische der Familie Mann 1918 am Tegernsee. Der Aufenthalt ist davon geprägt, dass „Die Betrachtungen eines Unpolitischen“ kurz vor der Veröffentlichung steht und Thomas Mann schmerzhaft erkennen muss, dass er sich in seinen „unpolitischen“ Betrachtungen verkalkuliert hat und die Welt kurz vor Kriegsende eine ganz andere ist, als jene konservativ-monarchistische, die er in den Betrachtungen beschreibt und verteidigt. Zur Erholung schreibt er hier am See die Idylle „Herr und Hund“, genießt – soweit es für Thomas Mann eben geht – die Ferien im Kreise seiner Familie, freut sich an seinem Hund Bauchan und macht seine erste Bergwanderung auf einen immerhin knapp 1.700 Meter hohen Gipfel. Als dies ist dokumentiert, sachlich verbrieft und wird von Kerstin Holzer wunderbar leichtfüßig, tiefsinnig und fesselnd erzählt – vielleicht ist es eine neue Kategorie der „erzählenden Monografie“.

Ein Buch, dem durchaus viele Leser zu wünschen sind, denn es macht einfach Lust auf Thomas Mann und manch ein Leser wird nach dieser Lektüre zu Mann Erzählungen greifen und „Herr und Hund“ lesen.

Alois Prinz, Sie ist ein lebendiges Feuer

Wenn überhaupt, dann ist Milena Jesenská als Adressatin von Franz Kafkas Briefen an Milena bekannt, doch mit der 2016 bei Geltz & Gelberg erstmals erschienenen und 2018 erneut bei Insel aufgelegten Biographie „Sie ist ein lebendiges Feuer. Das Leben der Milena Jesenská“ ist Alois Prinz der große Verdienst anzurechnen, dass er mit seinem Buch Milena Jesenská aus dem Schatten von Franz Kafka holt, ihr außergewöhnliches Leben bewegend schildert und sie erneut in das öffentliche Gedächtnis trägt.

Kurz zum Inhalt

Alois Prinz erzählt das Leben der Milena Jesenská dicht und atmosphärisch: wir erleben ein elfjähriges Mädchen, das die todkranke Mutter pflegt, die junge Frau, die gegen ihren Vater und die Gesellschaft aufbegehrt und wegen „ihres unschicklichen Benehmens“ von ihrem Vater in die Psychiatrie eingewiesen wird, ihre Flucht in die Ehe mit Ernst Polak und nach Wien, ihre Diebstähle, ihren Drogenkonsum, ihre Gefängnisaufenthalte, ihre Beziehungen zu verschiedenen Männern, ihre Liebe zu Franz Kafka, ihr Verkehr unter Prager und Wiener Intellektuellen, ihre Mühen als alleinerziehende Mutter, ihre Beobachtungsgabe in ihren Reportagen, ihr Engagement für den Sozialismus, ihr Widerstand gegen die Nationalsozialisten in Prag, ihre Verhaftung durch die Gestapo und schließlich ihre Haft und ihren Tod im Konzentrationslager Ravensbrück. Prinz vermittelt eindrücklich auf etwa 200 Seiten das hingebungsvolle und verschwenderische Leben einer Frau voller Lebenshunger, die sich stets ins Leben fallen ließ: immer handelnd, gebend und liebend, wie es der Autor am Ende des Buches zusammenfasst.

Milena Jesenská wurde am 10. August 1896 in Prag geboren und starb am 17. Mai 1944 im Frauenkonzentrationslager Ravensbrück an den Folgen einer Nierenoperation. 1995 wurde ihr Name in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem in eine Tafel eingraviert und sie wurde als „Gerechte unter den Völkern“ geehrt. Damit erfuhr sie posthum die Ehrung dafür, dass seit 1939 ihre Prager Wohnung „zum Unterschlupf für tschechische Soldaten, für Juden und politisch Verfolgte“ (Prinz, S. 171) wurde und sie und Graf von Zedtwitz zahlreichen vom Nationalsozialismus Verfolgten zur Flucht verhalfen.

Milena Jesenská war trotz der starren Rollenverteilung ihrer Lebenszeit eine freie, emanzipierte Frau, eine engagierte Sozialistin und eine mutige Widerstandskämpferin. In ihrem ganzen Leben kämpfte sie gegen innere und äußere Dämonen, gegen ihre Sucht und die Ungerechtigkeit in der Welt und ist noch heute ein beispielloses Vorbild für eine starke Frau- eine Frau, die uns Mut machen kann. All dies erzählt uns Alois Prinz in seiner Biografie, die auch eine Zeittafel und ein ausführliches Literaturverzeichnis enthält, sehr eindrücklich.

Der Autor

Ein paar Worte zu Alois Prinz: der deutsche Schriftsteller, Jahrgang 1958, schreibt vorwiegend Biographien für junge Erwachsene und wurde 2023 für sein Gesamtwerk mit dem deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet. Er schrieb unter anderem, neben der hier vorgestellten Lebensgeschichte von Milena Jesenská, auch Biografien über Franz Kafka, Martin Luther, Herrmann Hesse, Hanna Arendt, Simone de Beauvoir und viele andere Persönlichkeiten.

Daniel Kehlmann, Über Leo Perutz

Zu teuer, zu kurz, zu überhöht, nicht zeitgemäß – und doch zu empfehlen.

In der Reihe „Bücher meines Lebens“ aus dem Verlag Kiepenheuer und Witsch, herausgegeben von Volker Weidermann, ist im September 2024 der kleine Titel „Über Leo Perutz“ von Daniel Kehlmann erschienen.

Nehmen wir mal das Vorwort, den Anhang und die Werbung außen vor, dann bezahlen wir Leser für neunzig Seiten ganze zwanzig Euro – das finde ich zu teuer, zu kurz.

Den neunzig Seiten angemessen versuche ich mich kurz zu fassen:

Der Klappentext läßt uns wissen, dass hier „Kehlmann über den unbekanntesten Grossmeister der deutschen Literatur: Leo Perutz“ schreibe. Wer sich mit Titeln auskennt weiß, etwas höheres kann es nicht geben und das erscheint mir zu überhöht, da Kehlmann es zum einen nicht begründen kann und ich mich frage, welchen Titel dann ein Thomas Mann, ein Goethe oder ein Kafka bekommen soll?

„Leo Perutz‘ Werk ist zur Gänze lieferbar, die Literaturwissenschaft beschäftigt sich mit ihm, es hat Ausstellungen über ihn gegeben, es liegt eine profund recherchierte Biografie vor. Und dennoch ist Perutz, gemessen an seinem Rang, kaum bekannt“ schreibt Kehlmann zusammenfassend in seiner Einleitung und liefert damit ein vollkommen falsches Bild: nur eine kleine Teilmenge seiner Romane ist lieferbar, wichtige Novellensammlungen wie „Herr, erbarme Dich meiner“ nur antiquarisch erhältlich, die Theaterstücke gar nicht lieferbar und kaum ein Buchhändler (vermutlich kann ich mich trauen zu sagen: kein einziger) hat Titel von Leo Perutz vorrätig in seinem Sortiment – vielleicht gibt es bundesweit ein paar Ausnahmen die Perutz bekanntesten Roman „Nachts unter der steinernen Brücke“ präsentieren können.
Was Kehlmann hier auflistet sind Ausnahmeerscheinungen und keine Wiedergaben aus dem täglichen Feuilleton – in Wahrheit ist Leo Perutz einer der vielen vergessenen deutschsprachigen Autoren, die im Prag und Wien zu Beginn des 20. Jahrhunderts in der Welt der Caféhäusern ihren ersten Ruhm genossen, heute aber nur im Antiquariat zu finden sind.
Hier würde ich Herrn Kehlmann auch gerne persönlich darauf aufmerksam machen wollen, dass nur weil ein Internetriese einen Titel noch auf Lager hat, heisst dies nicht, dass es auch tatsächlich noch im stationären Buchhandel erhältlich oder lieferbar ist.

Und dennoch ist dieses kleine Büchlein empfehlenswert, denn Daniel Kehlmann schreibt mit einer großen Liebe und Begeisterung über das Werk von Leo Perutz und kämpft so gegen das Vergessen dieser lesenswerten Autors. Kehlmann offenbart sich als glühender Verehrer von Leo Perutz und wandert in kleinen Kapiteln durch dessen Werk. Hierbei legt Kehlmann den Fokus auf den Inhalt der Geschichten und ihrem Plot – das, so stellt Kehlmann immer wieder klar, ist das bedeutendste an Perutz Werk.

Dem schließe ich mich an und ich kann Perutz „Nachts unter der steinernen Brücke“ nur jedem ans Herz legen. Eine großartige Novellensammlung, die sich am Ende zu einem einzigartigen Roman zusammenfügt, jede Novelle mit einem grandiosen, meist sehr überraschenden Plot.

Aber… nicht zeitgemäß ist die Sprache Perutz´. Eine schöne, elegante, langsame und warme Sprache, aber der heutige Leser – ob zwanzig oder vierzig Jahre alt – kann damit schon Probleme bekommen und muss sich zum Plot erst durchkämpfen:

„Im Herbst des Jahres 1589, als in der Prager Judenstadt das große Kindersterben wütete, gingen zwei armselige Spaßmacher, ergraute Männer, die davon ihr Leben fristeten, daß sie bei den Hochzeiten die Gäste belustigten, durch die Belelesgasse, die vom Nicolasplatz zum Judenfriedhof führte.“

So beginnt die erste Novelle „Die Pest in der Judenstadt“ in „Nachts unter der steinernen Brücke“ und mit diesen 250 Zeichen allein schon im ersten Satz sind zahlreiche Leser heute überfordert. Ich wünsche Perutz viele Leser und vielleicht kann Kehlmann ja mit seiner Hommage an Leo Perutz die Neugier und den Lesehunger wecken – ich wünsche es beiden.

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