Der im Februar 2025 im Hanser Verlag erschienene Roman „Russische Spezialitäten“ von Dimitrij Kapitelman hat Höhen und Tiefen, ist insgesamt betrachtet in jedem Fall eine Lektüre wert.

Ganz kurz zum Inhalt

Die „Russischen Spezialitäten“ werden in einem Laden der ukrainisch-jüdischen Familie des Ich-Erzählers verkauft und dieser Laden bietet vielen osteuropäischen Menschen neben dem Einkauf „heimischer“ Produkte vor allem einen kurzzeitigen Heimatersatz. Das Buch ist in zwei Teile gegliedert: im Ersten wird der Alltag und auch das Ende des Familiengeschäfts geschildert und dies dient in erster Linie als Schauplatz für den Konflikt zwischen Mutter und Sohn: die Mutter, die der russischen Propaganda hörig folgt und der Sohn, der möchte, dass sich seine Mutter mit dem Ukrainekrieg kritisch auseinandersetzt. Im zweiten Teil reist der Sohn alleine nach Kiew, um sich selbst ein Bild zu machen und vermeintlich um die Mutter von den Fakten zu überzeugen.

Mein persönliches Fazit

Erzählen kann Dimitrij Kapitelman, das ist vollkommen unstrittig, und sein vor Ironie und Wortwitz strotzender Roman liest sich gut und macht auch Freude. Und dennoch hatte ich während der Lektüre hin und wieder meine Schwierigkeiten mit dem Roman. Zum einen hatte ich bereits seine beiden ersten Romane „Das Lächeln meines unsichtbaren Vaters“ und „Eine Formalie in Kiew“ gelesen und habe im dritten Roman nun den Eindruck, dass sich viele Dinge wiederholen oder vorhersehen lassen, so dass ich einen vierten Roman nicht unbedingt mit Vorfreude erwarte. Nun sollte eine Vorfreude auf etwas Ungedrucktes das Gedruckte nicht beeinflussen, doch im Gesamtwerk des Autors sehe ich wenig große Bewegung.

Das Thema der Sprachproblematik und der „Mutterzungensprache“ ist zentral und in vielen Bildern plastisch dargestellt, manchmal ist es aber auch plumb und unverständlich, zum Beispiel: „Doch selbst als Mama ein rotes Schild an unserer Tür anbringt: „Räumungsverkauf wegen Geschäftsaufgabe“ fällt es mir schwer zu akzeptieren, dass auch wir die Fliege (respektive Motte) machen müssen. Dieses Schild ist irgendwie bezeichnend für Mamas Verhältnis zur deutschen Sprache. Ein simples „Wir schließen, alles muss raus“ gestattet sie sich nicht. Und hält stattdessen an Substantive, als wären sie ein Zeichen der Zugehörigkeit.“ (S. 92) Das ist plumb, weil es nichts erklärt oder näherbringt.

Was mich ebenfalls in diesem Roman stark stört, ist die oftmals unnötige Politisierung und Pauschalisierung: in der deutschen Polizei arbeiten nur Neonazis, kein Notruf hilft, es reicht nicht, die überhand nehmenden AfD-Plakate zu beschreiben, nein, Kapitelman muss noch die Namen der Politiker von den Plakaten abschreiben und ein erstarkender Rechtsextremismus in Deutschland trifft am Ende die Familie des Ich-Erzählers, als eine „Nazistein“ durch ein Wohnungsfenster geworfen wird und die beginnende Versöhnung zwischen Mutter und Sohn jäh unterbricht. Auch wenn seine Mutter lediglich verlangt, dass sie hin und wieder ein Lebenszeichen Ihres Sohnes erhält wird dies politisiert: „Überhaupt hat meine Mutter darum gebeten, dass ich unterwegs öfter Besxcheid gebe, ob alles in Ordnung ist. Aber wie soll das eigentlich gehen? Hallo, Mama, der Massenmörder, den du unterstützt, hat mich nicht mitvernichtet. Gehe gleich georgisches Zazive-Hünchen essen.“ (S. 119).