Der im Oktober 2024 im Kanon Verlag erschienene Roman „Die Schatten von Prag“ bietet ein stimmungsvolles Bild vom Prag um 1910. Wer historische Krimis mag, wer sich für Prag und seine Geschichte interessiert und wer einfach nur gut unterhalten werden will – der wird in diesem etwa 300-seitigen Roman fündig.

Kurz zum Inhalt
Während die Prager Bevölkerung im Jahr 1910 auf den Weltuntergang, ausgelöst durch den Halleyschen Kometen, wartet, ereignen sich mysteriöse Mordfälle, die von Polizei und Obrigkeit als Unfälle oder Selbstmorde vertuscht werden. Ein Journalist namens Kisch ermittelt in jedoch in diesen Mordfällen, wird dabei von seiner jungen Kollegin Lenka Weißbach unterstützt und gemeinsam decken sie dabei eine Verschwörung auf.
Ein historischer Faktencheck…
… ist in diesem Buch nicht unbedingt angebracht, literarische Fiktion und historische Realität durchweben einander und sind nicht immer klar getrennt. Es fallen viele Namen von Personen wie Hugo Bergmann, Else und Berta Fanta, Gustav Meyrink, Hašek und natürlich Franz Kafka, die alle 1910 in Prag lebten und deren situative Beschreibung als real denkbar wären, für die es im Detail aber keine Belege gibt. Kafka kannte zum Beispiel die Familie Kisch und war mit Paul Kisch auch freundschaftlich verbunden, das Kafka jedoch Egon Erwin Kisch beim Biertrinken begleitet hätte und im Restaurant den Blinden gespielt hätte ist weder belegt noch realistisch. Nun könnte man sagen, dass dies nicht ganz so wichtig ist – ja, das stimmt – und dennoch: eben wenn Fiktion und Realität so eng beieinander sind, werden eben auch kritische Fragen laut.
Was ich den beiden Autoren am wenigsten abnehme, ist ihre Aussage, dass es sich ja gar nicht um den berühmten Journalisten Egon Erwin Kisch handeln müsse, da sie im Roman ja niemals seinen Vornamen erwähnen. Die Figur ist so sehr an den historischen Egon Erwin Kisch angelehnt (er wohnt im Bärenhaus, ist tätowiert, ist Kettentraucher, lebt im Caféhaus, ist Kriminalreporter bei der Bohemia, ist in Prag ein bekannter Hund und und und), dass alle Zweifel von vornherein obsolet sind.
Fazit
Der Roman ist durchaus eine sehr gelungene Unterhaltung und bietet auch Anreiz sich mit der Geschichte Prags um die Jahrhundertwende auseinanderzusetzen. Man kann sich hier durchaus historisch inspirieren lassen, darf aber nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen. Auch ausgewiesene Kenner von Prag und der deutschsprachigen Literatur, dem „Prager Kreis“ und auch von Franz Kafka kommen hier durchaus auf ihre Kosten und könnten sich phantasievoll in die Atmosphäre der goldenen Stadt an der Moldau entführen lassen.
Schreibe einen Kommentar