Monat: September 2025

Dimitrij Kapitelman, Russische Spezialitäten

Der im Februar 2025 im Hanser Verlag erschienene Roman „Russische Spezialitäten“ von Dimitrij Kapitelman hat Höhen und Tiefen, ist insgesamt betrachtet in jedem Fall eine Lektüre wert.

Ganz kurz zum Inhalt

Die „Russischen Spezialitäten“ werden in einem Laden der ukrainisch-jüdischen Familie des Ich-Erzählers verkauft und dieser Laden bietet vielen osteuropäischen Menschen neben dem Einkauf „heimischer“ Produkte vor allem einen kurzzeitigen Heimatersatz. Das Buch ist in zwei Teile gegliedert: im Ersten wird der Alltag und auch das Ende des Familiengeschäfts geschildert und dies dient in erster Linie als Schauplatz für den Konflikt zwischen Mutter und Sohn: die Mutter, die der russischen Propaganda hörig folgt und der Sohn, der möchte, dass sich seine Mutter mit dem Ukrainekrieg kritisch auseinandersetzt. Im zweiten Teil reist der Sohn alleine nach Kiew, um sich selbst ein Bild zu machen und vermeintlich um die Mutter von den Fakten zu überzeugen.

Mein persönliches Fazit

Erzählen kann Dimitrij Kapitelman, das ist vollkommen unstrittig, und sein vor Ironie und Wortwitz strotzender Roman liest sich gut und macht auch Freude. Und dennoch hatte ich während der Lektüre hin und wieder meine Schwierigkeiten mit dem Roman. Zum einen hatte ich bereits seine beiden ersten Romane „Das Lächeln meines unsichtbaren Vaters“ und „Eine Formalie in Kiew“ gelesen und habe im dritten Roman nun den Eindruck, dass sich viele Dinge wiederholen oder vorhersehen lassen, so dass ich einen vierten Roman nicht unbedingt mit Vorfreude erwarte. Nun sollte eine Vorfreude auf etwas Ungedrucktes das Gedruckte nicht beeinflussen, doch im Gesamtwerk des Autors sehe ich wenig große Bewegung.

Das Thema der Sprachproblematik und der „Mutterzungensprache“ ist zentral und in vielen Bildern plastisch dargestellt, manchmal ist es aber auch plumb und unverständlich, zum Beispiel: „Doch selbst als Mama ein rotes Schild an unserer Tür anbringt: „Räumungsverkauf wegen Geschäftsaufgabe“ fällt es mir schwer zu akzeptieren, dass auch wir die Fliege (respektive Motte) machen müssen. Dieses Schild ist irgendwie bezeichnend für Mamas Verhältnis zur deutschen Sprache. Ein simples „Wir schließen, alles muss raus“ gestattet sie sich nicht. Und hält stattdessen an Substantive, als wären sie ein Zeichen der Zugehörigkeit.“ (S. 92) Das ist plumb, weil es nichts erklärt oder näherbringt.

Was mich ebenfalls in diesem Roman stark stört, ist die oftmals unnötige Politisierung und Pauschalisierung: in der deutschen Polizei arbeiten nur Neonazis, kein Notruf hilft, es reicht nicht, die überhand nehmenden AfD-Plakate zu beschreiben, nein, Kapitelman muss noch die Namen der Politiker von den Plakaten abschreiben und ein erstarkender Rechtsextremismus in Deutschland trifft am Ende die Familie des Ich-Erzählers, als eine „Nazistein“ durch ein Wohnungsfenster geworfen wird und die beginnende Versöhnung zwischen Mutter und Sohn jäh unterbricht. Auch wenn seine Mutter lediglich verlangt, dass sie hin und wieder ein Lebenszeichen Ihres Sohnes erhält wird dies politisiert: „Überhaupt hat meine Mutter darum gebeten, dass ich unterwegs öfter Besxcheid gebe, ob alles in Ordnung ist. Aber wie soll das eigentlich gehen? Hallo, Mama, der Massenmörder, den du unterstützt, hat mich nicht mitvernichtet. Gehe gleich georgisches Zazive-Hünchen essen.“ (S. 119).

Lesekreis bei der VHS Siebengebirge

Am 18. September startet bei der VHS Siebengebirge ein moderierter Lesekreis zu den literarischen Stimmen unserer Zeit. Hier sind noch Plätze frei.

In diesem Literaturkreis begleiten wir die Aktion „Bonn liest ein Buch“ und wir lesen jeden Monat einen Roman aus der Shortlist dieser Aktion. Wir starten mit der Lektüre von Dimitrij Kapitelman „Russische Spezialitäten“ und werden uns im Verlauf des Kurses gemeinsam auf eine vierte Lektüre einigen. Bei unseren Treffen reden wir darüber, was in dem jeweiligen Roman passiert, was die Lektüre bei uns auslöst, aber auch darüber, ob und wie der Text für uns „funktioniert“. Gerade die Vielfalt der Einschätzungen wird dazu führen, dass die Teilnehmer*innen immer wieder neue Facetten an ihrer Lektüre entdecken können. Außerdem erhalten Sie einen Einblick, wie Sie sprachliche und stilistische Mittel in der Lektüre erkennen und interpretieren können.

Materialien: Bitte lesen: „Russische Spezialitäten“ von Dimitrij Kapitelman bis zum ersten Treffen.

Veranstalter: VHS Siebengebirge in Kooperation mit Literatur im Siebengebirge e. V.

Kursnr.: D40101
Beginn: Do., 18.09.2025, 19:45 – 21:15 Uhr 
Anzahl der Kurstage: 4
Anzahl der UE: 8
Kursort: Mosaik, Raum 4
Gebühr: 44,80 € (inkl. MwSt.)

Jonas Baeck, Wenn die Sonne rauskommt, fahr ich ohne Geld

Ein kurzweiliges, unterhaltsames „Gute-Laune-Buch“, dass sich gut als Reise-Lektüre in den Koffer für die Sommerferien einpacken lässt. Der autobiografisch eingefärbte Roman „Wenn die Sonne rauskommt, fahr ich ohne Geld“ von Jonas Baeck erschien schon am 10. Januar 2019 im Kiepenheuer & Witsch-Verlag und er erzählt von den „wundersamen Dingen, die einem widerfahren können, wenn man das Geld zu Hause lässt und auf die eigene Intuition vertraut“ (Klappentext).

Kurz zum Inhalt

Der dreiundzwanzigjährige Ich-Erzähler Jonas, Schauspielschüler aus Bochum, schließt eine spontane Wette mit sich selbst ab und daraus folgend fährt er mit seinem Roller nach Irland um dort eine antiquarische Ausgabe von „Romeo und Julia“ zu kaufen und diese innerhalb von insgesamt 17 Tagen an seine Schauspielkollegin Magdalena zu übergeben und ihr damit seine Liebe zu gestehen. Der eigentliche Clou an der Geschichte: er will all dies ohne einen Cent Geld in der Tasche bewerkstelligen. Ganz ohne Geld geht es bekanntlich auch nicht und so muss er auf seiner Reise hin und wieder Geld verdienen, trifft auf unterschiedliche Menschen, die ihm überwiegend freundlich und unterstützend begegnen und erlebt zahlreiche Abenteuer, die auf knapp 270 Seiten dem Leser kurzweilig erzählt werden.

Resumee

Man kann schon zu Beginn des Buches ahnen, dass die Verliebtheit des Protagonisten eigentlich keine Basis und somit auch keine Zukunft hat, so dass das Ende nicht überrascht – manchen Lesern wird das Ende trotzdem vielleicht zu offen und unreflektiert sein. Doch dies soll den Unterhaltungswert des Buches nicht schmälern. Der Leser muss sich ganz und gar auf die Geschichte des Ich-Erzähler einlassen und nicht darüber hinausgehen, dann ist dieses lesenswerte Buch eine wunderbar unterhaltende Erfahrung eines jungen Mannes – dass das Leben ohne Geld auf der Straße ganz und gar nicht so romantisch ist, das wissen wir alle, aber das ist ja auch nicht Thema des Buches.

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