Monat: März 2025

Michael Köhlmeier, „Die Verdorbenen“

Der neue Roman „Die Verdorbenen“ von Michael Köhlmeier hat es in vielerlei Hinsicht in sich und wirft viele Fragen auf – klingt skeptisch? Ist es aber nicht, sondern mal wieder ein rundum gelungenes Erzählwerk von Köhlmeier. „Erzählwerk ist vielleicht die richtige Typologie, denn genau das kann Köhlmeier bestens: erzählen! Und so mag man dieses kleine Büchlein mit einem Umfang von etwa 180 Seiten auch auf beiseite legen und – vielen wird es so ergehen – in einem Rutsch weglesen. Wenn der Leser dann am Ende ankommt, ist es aber nicht weg-gelesen, denn es bleiben zu viele Fragen offen.

Zum Inhalt

Der junge Johann kommt Anfang der Siebziger Jahre als Student nach Marburg an der Lahn, wird dort Tutor und lernt die wortkarge Christiane und ihren Freund Tommi kennen. Nach einem nahezu wortlosen Spaziergang um einen See eröffnet Christiane Johann, dass sie nun zu ihm ziehe, da sie ihn liebe. Johann ist hiervon überrumpelt und entzieht sich der Situation, doch nur wenige Wochen später entwickelt sich zwischen den dreien ein düsteres Beziehungsdreieck.

Fazit

Das Buch fesselt. Schon auf den ersten Seiten wird eine Spannung aufgebaut, die sich durch den gesamten Text zieht. Johann wurde als Kind von seinem Vater gefragt, was denn sein Herzenswunsch sei, den er sich in seinem Leben einmal erfüllen möchte. „Einmal im Leben möchte ich einen Mann töten“ ist Johanns Wunsch, den er sich aber nicht traut seinem Vater gegenüber zu offenbaren. Doch dieser Wunsch durchdringt den ganzen Text und man ahnt oder befürchtet stets, was gleich passieren wird…. doch es kommt alles ganz anders.
Das Buch fesselt aber auch, weil wir am Ende nicht erklärt bekommen: wie wurden die Menschen zu denen, die sie sind.

Eine grandiose Lektüre, die zum erneuten Lesen einlädt – trotz des Wissen auch bei zweiten und dritten Male keine Antworten zu erhalten.

Dimitrij Kapitelmann, „Das Lächeln meines unsichtbaren Vaters“

Dimitrij Kapitelmans Text ist schon 2016 bei Hanser erschienen und wurde 2018 bei dtv als Taschenbuch neu aufgelegt und war die erste Buchveröffentlichung des Journalisten, dessen Basistext und Idee schon 2013 in der taz veröffentlicht wurde.

Kurz zum Inhalt

Der Protagonist Dimitrij Kapitelmann ist ein Sohn von jüdischen Kontingentflüchtlingen, die in den 90er Jahren aus der Ukraine nach Deutschland und dort direkt in der Hochburg der Neonazi-Szene in Leipzig landen. Leichtfüßig und mit außergewöhnlichem Humor erleben wir, wie die Familie sich mit einem kleinen Laden über Wasser hält, wie ihr Alltag aussieht, wie sie sich langsam bessere Lebensbedingungen erarbeiten und wie Vater und Sohn ihre Position zueinander und zu ihrem Judentum auf einer Reise nach Israel entdecken, bestimmen und verteidigen.

Fazit

Das Protagonist und Erzähler den selben Namen tragen, lässt zu Recht vermuten, dass das Buch sehr stark autobiographisch motiviert ist. Der Verlag weist den Text auch keinem Genre zu, es ist weder Roman, noch Novelle, Erzählung, Autobiographie oder Reportage – es ist von allem ein bißchen. Auch wenn Wikipedia „Das Lächeln meines unsichtbaren Vaters“ einem Roman nennt – ein Grund mehr Wikipedia nicht immer blind zu vertrauen – lässt sich dieses Buch keinem Genre eindeutig zuweisen. Dies ist auch durchaus ein Kritikpunkt an dem Buch, denn wir wissen nicht wo Fiktion endet und beginnt.

Das Lesen dieses Buches macht in jedem Fall Spaß und ist ein Gewinn. Wir lernen viel über die Flüchtlingssituation in den 90er Jahre, über Identitätssuche, über Israel und vieles mehr.

Das Buch lebt ganz stark von den Szenen in denen der pragmatische Vater und der identitätssuchende Sohn direkt und unmittelbar aufeinander treffen und glücklicherweise gibt es davon zahlreiche.

© 2025

Theme von Anders NorénHoch ↑