Der 2023 im Carlsen Verlag erschienene Roman „Wolf“ von Saša Stanišic ist das erste Kinder- oder Jugendbuch des Autors, der insbesondere mit seinen Romanen „Herkunft“ und „Vor dem Fest“ große Erfolge feierte und einer größeren Leserschaft bekannt wurde.

Das Buch ist schön gestaltet, von Saša Stanišic beinahe durchgängig hervorragend erzählt und mit zahlreichen ausdrucksstarken, situativ passenden Bildern von Regina Kehn illustriert. Das Buch wurde mit zahlreichen Preisen, wie zum Beispiel dem Jugendliteraturpreis 2024 als bestes Kinderbuch, ausgezeichnet. Und dennoch läßt mich das Buch ratlos zurück, da es ein überhastetes Ende findet, was die ganze gute Vorarbeit in diesem zu Beginn grandiosen Roman leider zunichte macht.
Wie immer nur kurz zum Inhalt
Der jugendliche Kemi wird gegen seinen Willen von seiner Mutter in ein Sommerferienlager geschickt, wo er auf Jörg trifft, der irgendwie „andersiger“ als alle anderen ist und dadurch zum Mobbingopfer insbesondere von Marko, einem weiteren Ferienlagerteilnehmer, und dessen Spießgesellen wird. Das Mobbing ist für alle sichtbar und doch bleiben alle nur passive Zuschauer, Kinder und Erwachsene greifen überhaupt nicht oder nur sehr zögernd und halbherzig ein. Und genau das macht den Roman grandios, nämlich dass er in einer kindernahen Sprache schildert, wieviel Mut es braucht, Mobbingopfern beizustehen.
Der neumal kluge, frühreife Kemi liefert sich witzige Dialoge mit den Betreuen, um sich vor den Gemeinschaftsaktivitäten zu drücken, da „er die Natur an sich ablehnt“, der lebenserfahrene Außenseiter Jörg wird liebevoll dargestellt und der erwachsene Leser weiß gar nicht so recht, warum ausgerechnet Jörg und nicht Kemi zum Mobbingopfer wird und alle Ferienbetreuer sind ganz eigene Charaktere – dies alles schildert Saša Stanišic fesselnd bis zum letzten Ferientag.
Das bittere Ende
Auf den letzten zwölf Seiten kommt die Försterin ins Ferienlager und hält eine flammende Rede für den Klimaschutz. Gegen dieses Thema ist überhaupt nichts einzuwenden und diese Passage ist überaus witzig geschrieben, jedoch entsteht hier auch der Eindruck, dass der Autor auch dieses Thema noch in seinen Roman über Mobbing noch mit einbauen wollte – climate change sells. Auch das Lehrermaterial zu diesem Roman greift dies gerne auf und nennt eines der zentralen Themen dieses Buch „Natur und Naturschutz“, was bei aller Liebe einfach Quatsch ist.
Es kommt aber noch schlimmer. Am Ende des Romans und am Ende des Ferienlagers bleibt alles so wie es war. Es gibt für niemanden Konsequenzen, es gibt keine wesentliche Änderungen, es gibt keine Hoffnung auf Besserung, es gibt kaum Einsichten und wir ahnen oder wissen: die Zuschauer bleiben weiterhin Zuschauer und die Mobbingopfer werden weiter leiden.
Es ist an sich gelungen, dass uns der Autor nicht mit einem süßholzraspelnden Happy-End belästigt, dennoch bin ich der Meinung, dass ein Kinderbuch im Schluss eine andere Botschaft übermitteln sollte.
Fazit
Trotz des Endes, mit dem ich ganz und gar nicht zufrieden bin, wünsche ich dem Buch viele Leser, da es das Thema Mobbing sowie den Mut sich dem entgegen zu stellen sehr eindrücklich darstellt. Neben diesem ernsthaften Thema ist es aber auch ein sehr unterhaltsames Buch mit zahlreichen lustigen Dialogen der beiden Außenseiter Kemi und Jörg.