Monat: April 2024

Wer darf Hemingway übersetzen?

Eine der am weitesten verbreiteten deutsche Ausgaben von Ernest Hemingway ist sicherlich Ernest Hemingway, Gesammelte Werke in 10 Bänden aus dem Rowohlt Taschenbuchverlag. Diese erschien 1977 und die meisten Werke hierin in der „einzig autorisierten Übertragung aus dem Amerikanischen von Annemarie Horschitz-Horst“.

Annemarie Horschitz-Horst (1899 – 1970) war die einzige von Ernest Hemingway autorisierte deutsche Übersetzerin. Schon zu Lebzeiten Hemingways wurde bei ihm angefragt, ob andere Übersetzer seine Werke übersetzen dürften, doch lehnte dies Hemingway bis zu seinem Tod im Jahr 1961 kategorisch ab. Hierfür gab es aus Sicht des Schriftstellers ja auch gar keinen Grund, denn der Verkauf seiner Bücher im deutschsprachigen Raum lief sehr gut.

Doch die Übersetzungen waren in der Literatur- und Kritikerwelt nicht unumstritten, so

„Hemingway hat auf eine Generation deutscher Schriftsteller einen stilbildenden Einfluss ausgeübt. Wer hat ihn in Wirklichkeit ausgeübt – Hemingway oder seine deutsche Übersetzerin Annemarie Horschitz-Horst?“

Mit diesen Worten thematisierte schon Marcel Reich-Ranicki die Problematik der Hemingway-Übersetzung im Jahr 1965 auf einem Übersetzer-Kongreß. Aber was genau machte man ihr eigentlich zum Vorwurf? Da ist zum einen die Ungenauigkeit: egal ob Hemingway wonderful, fine, loveley, oder beautiful schreibt, bei Horschitz-Horst wird immer ein wunderbar daraus. Zum anderen der fehlende Mut bei Kraftausdrücken: der son of a bitch ist bei Horschitz-Horst kein Hurensohn, sondern ein verdammter Kerl. Und schließlich auch die fehlende Kenntnis und Interpretation des Autors Hemingway selbst, denn Hemingways man übersetzt Horschitz-Horst zu oft als Mensch, obwohl der Macho Hemingway meist nur von Männern schreibt.

Wer Missverständnisse vermeiden will, der greift zum Original oder liest eine der neueren Übersetzungen von Werner Schmitz, der für seine Arbeit auch vom Feuilleton oft gelobt wurde, z.B. in der Neuen Zürcher Zeitung und für seine Übersetzungen der Werke amerikanischer Autoren 2011 mit dem Heinrich Maria Ledig-Rowohlt-Preis geehrt wurde. 

Seit nun vierzig Jahren übersetzt der in der Lüneburger Heide lebende Werner Schmitz die Werke Hemingways neu, zuletzt erschien seine Übersetzung von „Whom the bell tolls“ im Rowohlt-Verlag 2022 unter „Wem die Stunde schlägt„. Schmitz erste Hemingway-Übersetzung war 1986 „Gefährlicher Sommer“, nachdem sich 1984 der Rowohlt-Verlag mit den Erben Hemingways darauf verständigt hatte, dass das Werk sukzessive neu übersetzt wird.

Hemingway, Der alte Mann und das Meer

Der Inhalt

„Jeder Tag ist ein neuer Tag. Glück haben ist nicht schlecht. Aber ich möchte lieber gründlich sein. Wenn dann das Glück kommt, ist man vorbereitet.“

So denkt der kubanische Fischer Santiago – der alte Mann – als er nach einer lang anhaltenden Pechsträhne ohne Fang im frühen Morgen alleine ins offene Meer hinausfährt und in der Folge tatsächlich Glück haben wird. Er macht endlich wieder einen großen Fang und es werden zwei Tage Kampf mit dem Fisch folgen, aus denen der alte Mann zunächst als Sieger hervorgeht, jedoch am Ende wird der alte Mann seinen Fang und sein Glück an die Haie verlieren.

„Aber der Mensch ist nicht dafür gemacht, sich besiegen zu lassen. […] Man kann einen Mann vernichten, aber nicht besiegen.“

Dies ist die optimistisch-trotzige Botschaft des alten Mannes und des Autors Ernest Hemingway, sich den Widrigkeiten des Lebens und des Schicksals zu stellen.

Hintergrund

Einen Klassiker wie Ernest Hemingway kann ich immer wieder mit Genuss lesen, hierfür braucht es keinen dedizierten Anlass, aber manchmal findet sich dieser zum Beispiel in der Lektüre eines anderen Buches, wie zum Beispiel die von Uwe Timms „Alle meine Geister“. Trotz der Freude an diesem Roman findet sich auch einige Kritik, die sich aber in meiner generellen Kritik an Hemingway orientiert. Das vielleicht manchmal etwas eingeschränkte Weltbild von Hemingway wird auch in diesem Roman wieder zelebriert: der Mythos des ewigen Kampf des Menschen, insbesondere des Mannes, mit der Natur, der einsame Zweikampf eines Helden, der einen letzten großen Kampf austrägt und zumindest moralisch als Sieger hervorgeht.
Und dennoch: die Schilderung ist spannend und emphatisch. Es gibt kritische Leser, die in Hemingways Naturschilderungen zu viel heldenhaften Pathos sehen, ich aber mag seinen Respekt und seine Achtung vor der Natur – auch wenn sie sich in der Achtung vor dem gejagten Tier widerspiegelt und auch wenn sie oft „männlich überhöht“ erscheint.

Hemingway hatte den Stoff für diese Fischergeschichte bereits 1936 als kurzen Artikel im Esquire veröffentlicht, aber erst nach 1939, seit dem er sich auf Kuba niedergelassen hatte, nahm er sich des Stoffes wieder an und veröffentlichte den kurzen Roman 1952.

Ernest Hemingway wurde 1953 für diesen Kurzroman (etwa 150 Seiten) mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet und das Werk wurde in der Begründung des Nobelpreiskomitees im Jahr 1954 explizit erwähnt. Diese beiden Ehrungen kamen für Hemingway zur rechten Zeit, denn sein letzter Roman „Across the river and into the Trees“ („Über den Fluss und in die Wälder“) veröffentlich in 1950 wurde sowohl von der Literaturkritik als auch vom Lesepublikum nur sehr schlecht aufgenommen.
„Der alte Mann und das Meer“ ist das letzte vollendete Werk von Hemingway, welches zu seinen Lebzeiten veröffentlich wurde. Gleichzeitig ist es vermutlich der bekannteste Titel von Hemingway überhaupt, nicht zuletzt auch aufgrund der kongenialen Verfilmung aus dem Jahr 1958 von John Sturges mit Spencer Tracey. Der Film wurde – ebenso wie das Buch – mit zahlreichen Auszeichnungen wie dem Oscar und dem Golden Globe geehrt.

Die aktuellste Übersetzung durch Werner Schmitz von „The Old Man and the Sea“ erschien 2012 im Rowohlt Verlag.

Percival Everett, „James“

Der amerikanische Schriftsteller und Professor für englische Literatur Percival Everett hat in seinem 2024 erschienenen Roman „James“ einen der Klassiker der amerikanischen Literatur „Huckleberry Finn“ von Mark Twain neu geschrieben – doch diesmal aus der Sicht des entflohenen Sklaven Jim. Damit ist die Messlatte hoch und es stellt sich die Frage: kann das gelingen? Ja und Nein.

Ja, denn der neue Roman von Percival Everett orientiert sich sehr stark an der Geschichte des entflohenen Sklaven Jim – der Inhalt ist damit dann auch den meisten Lesern und Leserinnen klar.

Für die wenigen , die Huckleberry Finn noch nicht gelesen haben, hier ein kurzer Abriss: Aus der Not heraus fliehen Huckleberry Finn und der befreundete Sklave Jim zufällig zur gleichen Zeit aus prekären Verhältnissen, treffen sich auf der Flucht wieder, erleben groteske Abenteuer, werden immer wieder getrennt, finden immer wieder zusammen und kehren am Ende zurück in ihre Heimat.

Und aus dem Klappentext:

„Jim spielt den Dummen. Es wäre zu gefährlich, wenn die Weißen wüssten, wie intelligent und gebildet er ist. Als man ihn nach New Orleans verkaufen will, flieht er mit Huck gen Norden in die Freiheit. Auf dem Mississippi jagt ein Abenteuer das nächste: Stürme, Überschwemmungen, Begegnungen mit Betrügern und Blackface-Sängern. Immer wieder muss Jim mit seiner schwarzen Identität jonglieren, um sich und seinen jugendlichen Freund zu retten.“

Zeit, Ort und Personen aus Huckleberry Finn erkennt der Leser leicht wieder – auch dann wenn seine eventuelle Jugendlektüre des „Huckleberry Finn“ schon Jahrzehnte zurückliegt oder vielleicht sogar nur eine Verfilmung bekannt ist. Lediglich das Ende weicht von der „Vorlage“ ab. Ebenso wie Twains Roman, liest sich „James“ flüssig, die Gesellschaftskritik ist eingängig und sorgt für eindeutige Sympathie und Everetts Roman fesselt in jedem Fall von der ersten bis zur letzten Seite.

Aber es gibt auch ein „Nein“ auf die obige Frage, denn der Sklave ist in meinen Augen nicht immer authentisch und die Leiden der Sklaverei – wenn auch eindringlich beschrieben – gehen mir manchmal zur sehr in den verschiedenen Abenteuern unter. Bei all dem Leid, dass der Sklave Jim selbst erfährt, muss man sich über seinen Gleichmut und seine Aufrechterhaltung der Fassade der Dummheit wundern, das wirkt nicht immer authentisch in der Geschichte selbst. Aber – ohne zu viel zu verraten – wird dem Leser ebenso wie Jim gegen Ende des Romans der Geduldsfaden einmal reißen und die Peiniger bekommen es selbst mit der Angst zu tun.

Die deutsche Übersetzung ist im März 2024 im Carl Hanser Verlag erschienen und trotz einiger kritischer Worte, sei der Roman jedem wärmstens empfohlen. Mit seinen 330 Seiten ist er auch überschaubar und sorgt an einem Wochenende für Lesegenuss und Unterhaltung, die ausreichend Raum für kritische Betrachtung der Sklaverei läßt.

Ray Bradbury, „Fahrenheit 451“

Nach vielen Jahren habe ich einen der dystopischen Klassiker und vermutlich das bekannteste Werk von Ray Bradbury (1920 – 2012) erneut gelesen und finde es aktueller denn je.
„Fahrenheit 451“ ist 1953 erschienen und stellte schon vor über 70 Jahren die Verlorenheit des Individuums in der technisch perfektionierten Welt dar. Diese technisch perfekte Welt ist aber auch eine Welt, in der die Menschen permanent über Werbung und belanglose Unterhaltung die allgegenwärtig von riesigen Leinwänden, den Lautsprechern im öffentlichen Leben und den ständig getragenen „Ohrmuscheln“ berieselt werden – Netflix, Instagramm und das Handy mit „In Ear Kopfhörern“ lassen grüßen.
Hier wird jeder Raum für das eigene Denken, das Wundern und Staunen, das Hinterfragen und Zweifeln genommen und konsequenterweise sind damit auch alle Bücher verboten, da diese nur zum Denken verführen könnten.
Die Feuerwehr hat in dieser Welt nicht mehr die Aufgabe, Brände zu löschen sondern Bücher, deren Besitzer und Orte zu verbrennen. Einer der Feuerwehrleute „Guy Montag“, der Protagonist des Romans, hinterfragt seine Aufgabe der Bücherverbrennung und widersetzt sich schließlich dem System.

Bradbury schrieb ein Plädoyer für die Freiheit des Denkens in einem Roman, der auch heute noch gut zu lesen ist, da er leicht verständlich und auch spannend ist.

Gerade in der Figur der Mildred, der Frau von Guy Montag, kann sich jeder Leser leicht wiederfinden. Sie verbringt ihr Leben abgeschottet in ihren vier Wänden, wird ständig von den Ohrmuscheln berieselt, fühlt sich am wohlsten in ihrem Wohnzimmer, wo sie an drei wandgroßen Bildschirmen in seichte Unterhaltung abtaucht und obwohl sie auf all dies nicht verzichten will, versucht sie ständig sich das Leben zu nehmen.

Die Ausgabe im Diogenes-Verlag folgt der Jubiläumsausgabe aus dem Jahr 2003 und ist seit Ende Februar 2024 auch als Taschenbuchausgabe erhältlich.

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